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Kaskoversicherung: Beweislast bei Pkw-Diebstahl

Das Oberlandesgericht Dresden hat sich mit dem Beweiserfordernis bei einem Pkw-Diebstahl im Rahmen der Teilkasko-Versicherung auseinandergesetzt. Mit nunmehr veröffentlichtem Beschluss vom 2.8.2022 (Az.: 4 U 428/22) hat es klargestellt: Kann der Versicherungsnehmer den Beweis des „äußeren Bildes eines Diebstahls“ durch Zeugen führen, kommt es auf seine eigene Redlichkeit nicht an. Sind keine Zeugen vorhanden, ist die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers entscheidend.

Dem Beschluss lag folgende Sachverhalt zugrunde:

 

Der Kl. begehrt Versicherungsleistungen aus einer Kaskoversicherung wegen eines behaupteten Diebstahls seines Pkw Audi A6 Quattro.

 

Zwischen den Parteien besteht für das in Rede stehende Auto eine Pkw-Haftpflichtversicherung unter Einschluss einer Kaskoversicherung. Der Kl. hat das Fahrzeug von dem Zeugen S im Mai 2017 erworben. Im Kaufvertrag wird der abgelesene Kilometerstand mit 10.200, die Erstzulassung am 27.10.2014 und der Kaufpreis mit 45.500 Euro angegeben. Der Kl. hat am Nachmittag des 3.12.2017 Strafanzeige wegen des Diebstahles seines Fahrzeugs bei der Polizei erstattet. Im April 2018 wurde das Fahrzeug in vollständig demontierten Zustand bei K… in Polen wieder aufgefunden. Die Bekl. lehnte mit Schreiben vom 9.5.2018 ihre Eintrittspflicht ab.

Der Kl. hat behauptet, er habe am späten Abend des 2.12.2017 das Fahrzeug gemeinsam mit dem Zeugen B im …weg in L. abgestellt. Den Zeugen B habe er mitgenommen, weil dessen Fahrrad beschädigt gewesen sei. Am 3.12.2017 habe ihn ein in Halle wohnender Bekannter – Herr K – angerufen und ihm mitgeteilt, dass er dessen auffälliges Fahrzeug nicht in unmittelbarer Nähe vor dessen Wohnhaus – in L. – vorgefunden habe. Dies habe der Kl. zum Anlass genommen, nach seinem Fahrzeug zu sehen, das er an dem Abstellort im …weg nicht mehr vorgefunden habe.

 

Die Bekl. hat die Entwendung bestritten und fehlerhafte Angaben des Kl. zur Kilometerleistung des Fahrzeugs gerügt. Im Übrigen meint die Bekl., dass Bedenken am Hergang des Kaufvertragsabschlusses bestehen, da der Kl. nicht nachvollziehbar darlegen könne, woher er als Bühnentechniker im Theater L. das Geld für die Anschaffung des Fahrzeugs gehabt habe.

Das LG hat die Zeugen B und S gehört und die Klage mit Urteil vom 30.11.2021 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Kl. Er meint, das LG habe zu Unrecht angenommen, dass das äußere Bild eines Diebstahles nicht bewiesen sei. Er habe sowohl für das Abstellen des Fahrzeugs am 2.12.2017 sowie für das Nichtwiederauffinden Zeugen benannt. Darüber hinaus sei das Auffinden des Fahrzeugs in Polen ein Beweis für den Diebstahl. Diesbezüglich hätte die Verfahrensakte der polnischen Polizei beigezogen werden müssen. Das LG habe des Weiteren die Glaubwürdigkeit des Zeugen B fehlerhaft verneint. Es habe Mutmaßungen angestellt, soweit es angenommen habe, der Zeuge B hätte von dem Abstellort des Fahrzeugs sein Fahrrad zu Fuß 10-15 Minuten tragen müssen. Davon habe der Zeuge nichts berichtet. Zudem seien zum Zeitpunkt seiner Einvernahme bereits vier Jahre vergangen, weshalb sich der Zeuge nachvollziehbar nicht an Einzelheiten erinnern könne.

Zur Begründung führte das OLG Dresden aus:

 

[...]

 

Beim Fahrzeugdiebstahl kommen dem Kl. Beweiserleichterungen zu Gute. Er muss den Beweis für das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung erbringen. Der Beweis für das äußere Bild ist erbracht, wenn ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen, bewiesen ist (vgl. BGH NJW-RR 2002, 671; vgl. Senat 4.9.2018 – 4 U 427/18, BeckRS 2018, 22272). Dieses Mindestmaß wird in der Regel erfüllt, wenn bewiesen wird, dass das Fahrzeug vom Versicherungsnehmer an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit abgestellt, dort aber nicht wieder aufgefunden worden ist (vgl. BGH NJW-RR 2002, 671; vgl. Senat 4.9.2018 – 4 U 427/18, BeckRS 2018, 22272). Für das äußere Bild ist der Vollbeweis nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilverfahrensrechtes erforderlich (vgl. BGH NJW-RR 2000, 315 = NZV 2000, 81). Kann der Kl. den Beweis durch Zeugen führen, kommt es auf seine Redlichkeit nicht an. Sind keine Zeugen vorhanden und kann sich der Kl. nur auf seine eigenen Angaben stützen, so ist seine Glaubwürdigkeit entscheidend (vgl. BGH NJW-RR 2002, 671).

Im vorliegenden Fall hat der Kl. den Beweis für das Abstellen des Fahrzeugs nicht durch den Zeugen B führen können.

 

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Der Senat hat seiner Verhandlung und Entscheidung die vom LG festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, § 529 I Nr. 1 ZPO. Solche Anhaltspunkte sind vorliegend nicht gegeben. Dass das LG an der Glaubwürdigkeit des Zeugen B gezweifelt hat, verstößt weder gegen Denkgesetze noch ist aus anderen Gründen eine Wiederholung der Beweisaufnahme geboten.

 

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Der Zeuge B gab bei seiner Einvernahme vor dem LG an, dass sein Fahrrad nicht mehr fahrbereit gewesen sei und er daher den Kl. angerufen habe. Das Fahrrad sei im Kombi des Kl. transportiert worden. Der Kl. habe dann sein Fahrzeug in der Nähe seiner (des Kl.) Wohnung abgestellt. Warum dieser ihn nicht nach Hause gefahren habe, könne er nicht sagen. Er könne sich vorstellen, dass man so einen Modus im Kopf habe, dass man eine bestimmte Wegstrecke fahre und gar nicht groß darüber nachdenke. Das sei nur eine Vermutung. Möglicherweise sei der Kl. auch leicht alkoholisiert gewesen. Außerdem fahre keiner um diese Zeit gerne durch C. Der Abstellort des Fahrzeugs sei etwa 50 m bis 100 m entfernt von der Wohnung des Kl. gewesen. Er wisse nicht mehr, ob er mit dem Fahrrad, das er dann geschoben hätte, oder ohne Fahrrad nach Hause gekommen sei. Von der Wohnung des Kl. laufe er ca. 10-15 Minuten nach Hause. Er habe mehrere Fahrräder in der Wohnung stehen. Er sei Mechaniker und repariere auch Fahrräder. Da könne es schon sein, dass er nicht mehr den Überblick habe. Definitiv sei es aber so, dass er das Fahrrad noch habe.

 

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Auch nach Auffassung des Senats ist wenig plausibel, dass der Kl., den Zeugen B nicht nach Hause gefahren haben will, obwohl ihn dieser wegen seines defekten Fahrrades angerufen haben will. Die Entfernung vom Abstellort des Pkw im …weg in L. zum Wohnort des Zeugen B in der B-Straße ... beträgt ca. 1,8 km (google maps), wofür ca. 23 Minuten Gehzeit benötigt werden. Die Vermutungen des Zeugen zu diesem Umstand sind wenig lebensnah und kaum überzeugend. Nicht glaubhaft ist seine Angabe, dass er nicht mehr wisse, ob er das Fahrrad mit nach Hause genommen und geschoben habe oder ohne Fahrrad nach Hause gegangen sei. Dies kann auch nicht mit der langen Zeit zwischen dem behaupteten Diebstahlsereignis und der Einvernahme des Zeugen erklärt werden, weil dieser bereits am 26.2.2018 und damit zeitnah zu dem behaupteten Diebstahl gegenüber der Bekl. ausgesagt hat, dass er nicht mehr wisse, ob er das Rad mitgenommen oder abgestellt habe. Widersprüchlich und damit nicht glaubhaft ist auch die Angabe, das Fahrzeug des Kl. sei vielleicht 50 m oder jedenfalls nicht weit über 100 m entfernt von dessen Wohnung abgestellt worden, nachdem der Zeuge zuvor in der Aussage vom 26.2.2018 angegeben hatte, das Fahrzeug ca. 5 m bis 10 m und damit unmittelbar neben der Haustür des Kl. gesehen zu haben. Dies ist auch unter Berücksichtigung von Unsicherheiten bei der Schätzung ein erheblicher Unterschied, zumal der vom Kl. angegebene Abstellort des Pkw in der … straße gewesen sein soll und damit zwei Straßen weiter auf der anderen Seite der mehrspurigen Straße mit einer Entfernung von ca. 260 m zwischen Abstellort und Wohnort des Kl. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Entfernungsschätzungen schwierig sind, ist dies nicht mehr nachvollziehbar, zumal dies nicht mehr als „sehr nah“ bezeichnet werden kann, wie der Zeuge B bei seiner Aussage vor dem LG angegeben hat.

 

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Die Beweiserleichterung des „äußeren Bildes“ kommt dem Kl. auch nicht aufgrund seiner eigenen Angaben zu Gute.

 

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An seiner Glaubwürdigkeit bestehen erhebliche Bedenken. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Bekl. zu den Angaben des Kl. hinsichtlich des Erwerbs des Fahrzeugs will er dieses über das Onlineportal ... Kleinanzeigen gefunden und er habe anlässlich eines B-Besuches besichtigt haben. Danach will er am 18.5.2017 erneut nach B. gefahren sein, um einen Kaufvertrag über das Fahrzeug abzuschließen. Anschließend seien die Fahrzeugpapiere übergeben worden, und er habe dem Käufer Zug um Zug 45.500 Euro in bar ausgehändigt. Sodann sei er nach Hause gefahren, um das Fahrzeug anzumelden und habe das Fahrzeug im Juni 2017 abgeholt, wo ihm der Verkäufer einen zweiten Fahrzeugschlüssel übergeben habe. Ein Nachweis über die Herkunft des Bargeldes sei nicht vorhanden. Er habe es über 10 Jahre angespart.

16Wenn der Kl. am 18.5.2017 den Kaufvertrag in B. abgeschlossen haben will, ist unverständlich, weshalb als Ort des Kaufvertragsabschlusses sowohl bei der Unterschrift des Verkäufers als auch des Käufers „L“ eingetragen wurde. Es erscheint auch ungewöhnlich, dass der Kl. einen Betrag von 45.500 Euro in bar über einen Zeitraum von 10 Jahren angespart haben will. Dies entspricht einer monatlichen Sparrate von ca. 380 Euro. Diese Sparrate ist angesichts der Verdienstmöglichkeiten des Kl. als Bühnentechniker, die nach unbestrittenem Vortrag der Bekl. bei 2.500 Euro liegen, schwer nachvollziehbar und vom Kl. auch nicht erklärt worden. Es ist auch mehr als ungewöhnlich, einen derart hohen Betrag in bar in der Wohnung zu horten. Im Übrigen ergibt sich aus den Angaben des Kl., dass er den Betrag von 45.500 Euro Zug um Zug gegen Übergabe der Fahrzeugpapiere ausgehändigt haben will. Im Kaufvertrag wird die Zahlung von 45.500 Euro am 18.5.2017 bestätigt. Im Widerspruch hierzu hat der Verkäufer des Fahrzeugs – der Zeuge S – jedoch angegeben, dass der Kl. eine Anzahlung gemacht und die Restzahlung geleistet habe, als er das Auto abgeholt habe.

 

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Auch die Schilderungen des Kl. zum Nichtmehrwiederauffinden des Fahrzeugs sind nicht plausibel und nachvollziehbar. Hierfür hat der Kl. Herrn K als Zeugen nicht benannt. Dieser will ihn am 3.12.2017 telefonisch darauf aufmerksam gemacht haben, dass er das auffällige Fahrzeug des Kl. nicht – wie erwartet – in unmittelbarer Nähe von dessen Wohnhaus vorgefunden habe und daraus geschlossen habe, dass der Kl. nicht zu Hause sei. Dies ist für sich gesehen schon nicht nachvollziehbar, denn es ist nicht erklärlich, weshalb Herr K angenommen haben will, dass das Fahrzeug des Kl. in unmittelbarer Nähe von dessen Hauseingangstür abgestellt ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Zeuge B angegeben hat, dass der Kl. für den Audi den Carport in der K-Straße 9 – 11 und damit 3,4 km entfernt vom Wohnort des Kl. (google maps) genutzt und meist dort abgestellt hatte. Angesichts dessen wäre es aber keineswegs ungewöhnlich, wenn das Fahrzeug nicht vor der Haustür des Kl. gestanden hätte.

 

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Der Beiziehung der polnischen Polizeiakte bedarf es nicht. Es kann als wahr unterstellt werden, dass die Reste des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Polen aufgefunden worden sind. Dies ist jedoch kein Beweis für das äußere Bild eines Diebstahles.

 

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Für den behaupteten Anruf des Zeugen K hätte dann aber auch keine Veranlassung bestanden.

 

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Weshalb der Kl. einen solchen Anruf zum Anlass genommen haben will, nach seinem Fahrzeug am Sonntag, den 3.12.2017, zu sehen, erschließt sich ebenso wenig. Denn ihm war positiv bekannt, dass er das Auto nicht in der Straße seines Wohnortes, sondern in der … -Straße abgestellt hatte. Ein nachvollziehbarer Anlass zu überprüfen, ob das Auto noch am Abstellort steht, ist nicht ersichtlich.

 

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Der Senat rät angesichts dessen zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.